Die Leitermacher im Holzland

Wilhelm Bauer 1942
 

Hermsdorf ist in den deutschen Landen wohl bekannt, nicht nur wegen seiner schönen Wälder, der Kreuzung zweier Autobahnstrecken, des neu erbauten Rasthofes und der großen Porzellanfabrik, sondern auch wegen seiner Leitern. Viele Städte und Dörfer durchfährt der Händler, um seine Leitern und anderen Holzwaren zu verkaufen. An seiner blauen Schürze und an dem Ruf:

Keeft Lettern! Lettern keeft!

erkennt man ihn sofort als einen Holzländer aus Hermsdorf, Klosterlausnitz oder Weißenborn. In den großen Städten des norddeutschen Tieflandes und der Rheingegend hat er sich Niederlagen eingerichtet, von denen aus er seine Waren an den Mann bringt.

Schon in alten Zeiten wurden in Hermsdorf Leitern angefertigt, wie uns die Gemeindeordnung aus dem Jahre 1655 bezeugt:

Diejenigen, so kein eigentümliches Gehölz haben, sollen weder mit Latten, Leitern, Pflock Hölzer, Saukoben und dergleichen handeln. Sie haben denn jederzeit dem Amtsschultheißen und Gemeinmeister angezeigt, wo und von wem sie das Holz darzu erkaufet. Keiner auch zu­gelassen sein soll, Latten in Hölzern auszuarbeiten, bei jeder Über­tretung an die Gemeinde 5 Groschen, hierüber die Holzwaren dem Amte verfallen und der Verbrecher noch zur Strafe gezogen werden soll.

Die harten Strafbestimmungen waren gewiss notwendig, da die Handwerker es mit mein und dein nicht so genau nahmen.

Ein alter Hermsdorfer Leitermacher erzählte mir, dass man früher die Leitern sehr einfach zusammengebaut hätte. Man nahm zwei gleich lange Leiterbäume, haute mit einem scharfen Beil in gleicher Entfernung Kerben ein und nagelte in diese die Sprossen fest. In Bayern sind noch solche einfachen Leitern anzutreffen. Die ersten schöngeformten Leitern hat in Hermsdorf Karl Friedrich Martin angefertigt. Noch lebt ein Sohn von ihm, August Martin. Er wird uns einiges über seine Vorfahren und seinem Vater berichten:

Die Martins stammen aus Kraftsdorf. Der erste Hermsdorfer Martin, Johann Gottfried wurden 1763 in Kraftsdorf geboren. Meine Vorfahren waren Holzarbeiter und Köhler. Gottfried Martin, ein Bruder meines Großvaters, verbrannte 1837 in einer Köhlerhütte bei Hermsdorf.

Mein Vater Karl Friedrich Martin, wurde am 10.06.1827 geboren, er starb am 21.03.1903. Am 08.06.1854 verheiratete er sich mit Friederike Grunik. Von diesem Jahre ab fing er mit Leitermachen an. Zuerst arbeitete er in Beyerleins Garten (Salomons) drüben auf dem Berge, von 1861 ab im Hofe von August Krieg in der Vorstadt. 1879 erbaute er sich das neue Haus. Ein Enkel Max Martin ist zurzeit
Besitzer des Leitergeschäfts. Seine ältesten Mitarbeiter waren Karl Grunick, Wilhelm Schramm, der alte Trinks und der alte Schaab. Viele haben bei ihm das Leitermachen erlernt, so ist er der Vater der Leitermacher. Mein Vater arbeitete sehr eigensinnig und seine Waren wurden gern gekauft. Nicht nur Leitern, sondern auch Schafrau­fen, Kuchenschraken, Sägeböcke, Wäschepfähle, Wäschestützen und Pfähle fertigte er an. Er konnte nicht genug schaffen. Die Händler brachten mit Schubkarren, Hunde- und Pferdewagen diese vielbegehrten Waren in die Städte und Dörfer. Sogar bis Hannover und Hamburg sind sie gekommen. Nach der Erbauung der Weimar-Geraer Eisenbahn fuhren die hochgeladenen Güterwagen in die großen Städte und ins Rhein­land. Dort wurden die Holzwaren besonders durch Weißenborner Händler von ihren Niederlagen aus verkauft.

Die alten Leitermacher kannten noch keine Holzbearbeitungsmaschine. Nur mit der Hand- und Lattensäge, Schnitzmesser, Bohrer und dem Beil verfertigten sie die schönen schlanken Leitern.
Draußen im Wald kauften sie vom Förster die schlanken zähe gewachsenen Fichtenstämme. Zurzeit bezieht man auch Leiterbäume aus dem Thüringer- und Frankenwald, doch die hiesigen gelten als die besten.

Gehen wir 50 Jahre zurück und schauen einem Leitermacher bei seiner Arbeit zu. Einen geräumigen Hof hat er sich zu seiner Arbeitsstätte ausersehen. Zuerst wird der Stamm zugerichtet und mit einem scharfen Schnitzmesser die Rinde abgeschält und geglättet. Die langen Späne häuften sich zu Bergen und man war froh, wenn diese von den Nachba­rinnen als Feuerholz heimgetragen wurden. Unser Leitermacher trennte nun den Stamm, er sägte ihn mit der Lattensäge auseinander in zwei gleiche Stücke. Jetzt kommt der Löffelbohrer in Tätigkeit. Mit diesem bohrt unser Handwerker die Sprossenlöcher in die Holme. Fest muss er den Bohrer gegen die an den Leib gebundene Bohrscheibe drücken. Nun können die Sprossen, hier Sprohlen genannt, eingeschlagen werden.

Während des Winters, in der warmen Stube, sind sie an der Schnitzbank zugerichtet worden. Da häuften sich die Späne oft bis an die Stubendecke. Diese Sprossen mussten genau in das Bohrloch passen, deshalb benutzte man zum Vergleich ein kleines Brett mit dem Modell. Manche Leitermacher hatten ein solch scharfes Augenmaß, dass sie des „Bohrmuddels“ nicht bedurften. Nachdem sämtliche Sprossen ihren Platz gefunden hatten, wurde die Leiter im Takt mit Beilen fest zusammengeschlagen. Nach 8 Sprossen fügte der Leitermacher der Leiter eine breite Sprosse, eine Schwinge bei. In Holm und Schwinge schlug man einen Holzstift, um der Leiter ein festes Gefüge zu geben. Jetzt benutzt man keine Holzstifte mehr, sondern Drahtnägel. Nachdem die überstehenden Sprossenenden abgesägt, die Holme mit dem Schnitz­messer geglättet und die Füße zugerichtet waren, konnte die Leiter dem Händler zum Verkauf angeboten werden.

Die Länge der Leitern war sehr verschieden. August Martin erzählte mir, dass sein Vater für das Schloss Fröhliche Wiederkunft eine Leiter von 25 m Länge geliefert hätte. Vor dem 1.Weltkrieg erhielten die Leitermacher für eine 10 m lange Leiter 10 Mark und für eine 5 m lange 4,50 Mark. Die längsten Leitern verwendeten Maler beim Anstreichen der hohen Außenwände. Die Arbeit war ziemlich gefährlich, denn es konnten Sprossen brechen oder die Leiter seitwärts rutschen. Da tauchte 1886 der Maler Heiland aus Langenberg in Hermsdorf auf. Mit den beiden Leitermachern Karl Martin und Fritz Martin jun. hatte er eine lange Unterredung. Er brachte vor, es müsste ein Leitergerüst gebaut werden, auf welchem man sicher und bequem die Malerarbeiten verrichten könne. Die beiden erklärten sich bereit nach seinen Angaben ein solches anzufertigen. Nach mancherlei Überlegungen gingen die beiden an die Arbeit und schufen die ersten Rüstleitern. Die notwendigen Eisenteile wie Fensterscheiben, Fensterarme, Leiterhaken,  Eisenstäbe, Kopf- und Hakenschrauben, Schraubenschlösser fertigte der Schlossermeister Rahn zu Klosterlausnitz an. Jetzt bezieht man diese aus Fabriken, nur wenige Teile stellen die hiesige Schmiede her.
Das erste Leitergerüst wurde 1887 in Gera aufgestellt. Diese neue Erfindung erregte unter Mauermeistern und Malern Bewunderung und verschiedene bestellten Rüstleitern bei unseren Handwerkern.

Leider konnten einige nicht bezahlen und die Leitermacher kamen in arge Geldschwierigkeiten. Da verband sich Heiland mit einem Geldmanne, Kaufmann mit Namen. Beide trieben das Geschäft vorwärts. In den großen Städten Leipzig, Halle und Berlin wurden die neuen Leiterngerüste aufgestellt. Die Berliner Baupolizei hat sich lange gesträubt, die Erfindung als betriebssicher anzuerkennen.
Heiland ging mit einigen hiesigen Leitermachern nach Wien und gründete dort ein neues Leitergeschäft. Hier ließ er sich seine Erfindung patentieren. Karl Martin und Gustav Laukner aus Klosterlausnitz betrieben nun wieder von Hermsdorf aus den Verkauf.

Vor dem 1.Weltkrieg drang nun die Maschinen in unser Handwerk ein. Neue Betriebe entstanden, einige gingen wieder ein, einige blühten auf. In diesem Kriegsjahr 1942 gibt es im Dorfe folgen selbständige Betriebe:

  1. Bärmig, Emil – Hindenburgstraße – heute Eisenberger Straße
  2. Dämmrich, Kurt - Bahnhofstraße
  3. Klaus, F. Louis Besitzer : Wilhelm und Richard Klaus „Finkens“
  4. Klaus, Traugott Besitzer: Alfred und Walter Klaus „Jürgens“
  5. Kirchner, Richard und Sohn – Lessingstraße
  6. Martin, Karl und Sohn – Schillerstraße
  7. Martin, Louis Besitzer: Max Martin
  8. Plötner, Alwin – Rodaer Straße
  9. Plötner, Fritz – Bahnhofstraße. Betrieb eingestellt. Holzwarenhandel.
  10. Schilling, Alwin „Zwecke“ Schulstraße
  11. Schilling, Otto „Zwecke“ Schulstraße
  12. Schröter, Hugo „Erdmann“ Bahnhofstraße
  13. Schröter, Alwin - Hindenburgstraße.

Unsere Handwerker fertigten außer den verschiedenartigsten Leitern noch manche anderen Waren, wie Schafraufen, Kuchenschragen, Sägeböcke, Wäschepfähle, Wäschestützen usw.

Die Firma F. Louis Klaus ist der größte Betrieb. Vor dem 2.Welt­kriege 1939 waren dort 80 Arbeiter beschäftigte. Jetzt im Kriege sind nur noch 36 Mann tätig. Der Gründer der 86-jährige Louis Klaus wohnt inmitten des ausgedehnten Werkes. Jetzige Besitzer sind seine beiden Söhne Richard und Wilhelm Klaus. Louis Klaus war verheiratet mit Selma geb. Bärmig. Sein Vater Gottlob war Brettschneider und wohnte auf dem Roten Strumpfe. (Reichenbacher Straße.) Auch der Großvater Hans betrieb das mühselige Handwerk. Ein Vorfahr soll Hofnarr gewesen sein. Hier in dieser Leiterfabrik müssen die Maschinen alle Arbeiten verrichten. Die Schälmaschinen schälen Leiterbäume, Sprossen und Pfähle. Die Kreissäge trennt die Stämme in zwei gleiche Stücke, die Bohrmaschine bohrt die Löcher für die Sprossen und die Kettenfräse reißt die Löcher für die Schwingen ein. Die fertige Leiter wird zuletzt auf der Schleifmaschine geglättet.
Gebläse schleudern die kleinen feinen Späne und das Sägemehl ins Freie. Der größte Teil dieser Abfälle wurde ehedem auf einem Feld verbrannt. Jetzt holt diese die Zuckerfabrik Dessau ab.

In diesem großen Betrieb werden die verschiedenartigsten Sachen angefertigt, wie Obst-, Bau-, Rüst-, Maler-, Treppen- und Ausziehleiter, Schafraufen, Klee- und Heuböcke, Schneezäune, Fahnenstangen und die mannigfachsten Pfähle. Der Betrieb unterhält Niederlagen zu Dresden, Hamburg, Berlin, Düsseldorf und Frankfurt. Rüstleitern sind von hier nach Paris, in die Schweiz, nach Wien und Palästina ver­frachtet worden. Die größten Kirchtürme sind mit Hermsdorfer Leitern umrüstet worden. Beim Abtragen und Wiederaufrichten der Berliner Siegessäule wurden besonders gearbeitet hiesige Leitern verwendet.
Außer in Hermsdorf werden noch viele Leitern in Weißenborn und Klosterlausnitz angefertigt.